Meine allerliebste Senta,
nur noch äusserst selten hast Du ihn in den letzten Wochen gezeigt: Deinen aufgestellten Trab ein paar Meter vor mir, bei dem Deine Ohren flappten wie die Tütüs des Pas de Quatre im Schwanenseeballett. Jedes Mal, wenn Du mal noch zum Trab angesetzt hast, hüpfte mein Herz in Deinem Rhythmus.
In der letzten Zeit brauchte es alle 20 Meter ein Gutzi zur Motivation, nochmals ein paar Schritte zu machen. Deine Schmerzen wolltest Du mir nicht zeigen. Bis Du sie nicht mehr verbergen konntest. Die Krebsdiagnose Anfang Jahr war im Endeffekt der Anfang vom Ende. Die Operation und zwei verschiedenen Chemos, die Du wie ein Trooper durchstandest, halfen nichts. Die Tumore wuchsen wie wild und platzten immer wieder am Bein auf, was Dir fast schon peinlich war. Du liessest die Verbände über Dich ergehen, solange es als Belohnung ein feines Gutzi oder etwas Hafermilch gab. Die Geschwüre, die sich am und in Deinem Körper breit machten, müssen Dich unglaublich geplagt haben, aber um mich herum nahmst Du Dich gewaltig zusammen. Du warst darin eine Meisterin! Aber in den letzten Tagen wurde es zu viel, was ich begriffen und meine Verantwortung für Dich in allergrösster Liebe wahrgenommen habe.
In Deinen letzten Stunden bin ich viel bei Dir gelegen und habe Dir von unseren vielen Abenteuern erzählt. Und ich habe das Gefühl, dass Du mir dabei das Ok gegeben hast, dass ich Dich erlösen darf. Wir haben uns oft blind verstanden. Viele Worte brauchten wir nie.
Du warst mein Fixstern, um den ich mein Leben der letzten 10 Jahre aufgebaut habe. Und ich hoffe, dass ich es gut mit Dir gemacht habe. Unsere gemeinsame Lebensstruktur und die schönen Rituale fallen nun abrupt weg. Heute Morgen ass ich erstmals ohne Dich neben mir die erste Toastecke, die immer für Dich bestimmt war, selber, und sie schmeckte wie Karton für mich. Die restlichen Toastecken legte ich für Dich zur Seite und entsorgte sie dann im Kompost. Vom Bürostuhl aus sehe ich auf Dein leeres Bett, und Du liegst auch nicht unterm Pult auf meinen Füssen. Du holst mich nicht mehr ungeduldig vom Zähneputzen ab, um in die morgendliche Hunderunde zu starten. Die Zeitung bleibt im Briefkasten liegen, weil ich frühmorgens nicht mehr hinters Haus muss mit Dir. Appetit habe ich keinen mehr ohne Dich als Häppchenjägerin. Du aber warst bis zum Schluss hochgradig verfressen. Darum habe ich Dich in den letzten Stunden nochmals so richtig verwöhnt. Du konntest es wohl kaum fassen, wie viele Gutzis Du erhalten hast. Du hast Deine letzte Reise über den Regenbogen – friedlich bei mir zu Hause – auf jeden Fall gut verpflegt angetreten.
Wir haben uns kennengelernt, da warst Du gerade mal etwa 10 Tage alt. Bis ich Dich mit 8 Wochen nach Hause holte, besuchte ich Dich wöchentlich bei der Züchterin. Du hast Dein ganzes Leben mit mir verbracht. Ich hatte das Privileg und es war mir eine Ehre, diesen unvergesslichen Weg mit Dir von A bis Z – und damit auch ganz bis zum Ende zu gehen. Die etwas mehr als 10 Jahre mit Dir haben mein Leben nachhaltig geprägt und verändert. Ich bin nicht mehr dieselbe wie vorher. Dafür werde ich Dir für immer dankbar sein.
Ich bin sehr glücklich für Dich, dass Du nun keine Schmerzen mehr hast. Ich sehe Dich quer über eine saftige Wiese rennen mit vier gesunden Beinen, krebsfrei, rank und schlank, um am Ende der Wiese in einen klaren See zu springen und genussvoll eine Runde zu schwimmen. Das wünsche ich Dir dort, wo Du jetzt bist, jeden Tag und von Herzen. Deine Asche kommt zurück zu mir, wo Du zu Hause bist. Du hast einen riesengrossen Platz in meinem Herzen für alle Ewigkeit. Und ich hoffe, dass wir uns dereinst wiedersehen, in welcher «shape or form» auch immer das sein wird.
Run free, my Senta – forever.